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Elektrische Anlagen zur Energieübertragung bestimmen unseren Alltag: Kaum jemand spült sein Geschirr noch per Hand, erhitzt das benötigte Wasser über einer Feuerstelle oder bäckt seinen Kuchen in einem Kohleofen, und mit Sicherheit wäscht niemand seine gesamte Alltagskleidung per Hand. Wir können uns eigentlich kaum noch vorstellen, wie beschwerlich unser Leben wäre, wenn es diese Anlagen nicht gäbe.

Gleichwohl bleibt uns die Funktionsweise dieser Anlagen zunächst verborgen, denn anders als bei mechanischen Geräten wie z.B. einer Automatikuhr, deren Funktionsweise man im Prinzip durch genaue Beobachtung und anschließendes Zerlegen des Werks verstehen kann, ist dies bei elektrischen Geräten ohne detaillierte Vorkenntnisse der verwendeten Bauteile und der zugrundeliegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten unmöglich. Die Schwierigkeiten liegen u.a. darin begründet, dass

  • die Begriffe Strom, Spannung, Energie, Energiestrom etc. in der Alltagssprache wild durcheinander gewürfelt werden; Sie haben bestimmt auch schon von der "Stromrechnung" gesprochen oder das Bonmot "Spannung macht die Ströme stark" gehört,
  • die oben genannten Begriffe mit keiner direkten Alltagserfahrung verknüpft werden können,
  • alle im Elektrikunterricht verwendeten Geräte nur funktionieren, weil man die Gesetzmäßigkeiten, die man im Unterricht entwickeln möchte, bereits zur Konstruktion der Geräte einsetzen musste.

Insbesondere der letzte Punkt verweist also darauf, dass Elektrikunterricht in wohlverstandener Weise immer nur Demonstrationsunterricht sein kann, da für Schülerinnen und Schüler keine Chance besteht, ausgehend von ihrer alltäglichen Erfahrung wie z.B. dem Knistern eines Pullovers, den man sich über den Kopf zieht, innerhalb weniger Doppelstunden selbstständig relevante Aspekte der Elektrik zu entdecken - dies hat die Menschheit schließlich nicht umsonst Jahrtausende gekostet. Der Unterricht muss die Schülerinnen und Schüler aber durch geeignete Strukturrierungsmaßnahmen und sinnvoll eingebettete Versuche in die Lage versetzen, die Inhalte selbsttätig, d.h. durch eigenes Nachdenken, zu verstehen und mit Bekanntem zu verknüpfen. 

Um Abhilfe zu schaffen hat Heinz Muckenfuß, der weithin durch sein didaktisches Grundlagenwerk "Lernen im sinnstiftenden Kontext" bekannt geworden ist, den im Standardwerk Neue Wege im Elektrikunterricht dargelegten Unterrichtsgang entwickelt. Er basiert auf dem sog. DynaMot, einem handgetriebenen Generator, der auch als Elektromotor verwendet werden kann.

Die Grundstruktur eines elektrischen Stromkreises gleicht einer Fahrradkette: Wenn man am linken Wellrad dreht, so setzt sich augenblicklich der gesamte Keilriemen in Bewegung. Das rechte Wellrad setzt diese Rotationsbewegung in eine Bewegung in vertikaler Richtung um - das Massestück wird angehoben.


Dabei wird Energie vom linken Wellrad zum rechten transportiert: Dies entspricht im Stromkreis der Energie, die z.B. vom Kraftwerk zu Ihnen nach Hause fließt.
Damit dies funktioniert, muss sich aber ein Medium im Kreis bewegen: In der Abbildung ist es der Keilriemen, der sich im Kreis bewegt, und im elekrischen Stromkreis ist es ein "elektrischer Riemen", der aus Elektronen besteht. Faszinierend dabei ist, dass die einzelnen Elektronen sich mit einer Geschwindigkeit von weniger als einem Millimeter pro Sekunde bewegen und das Licht trotzdem "sofort" angeht, wenn man den Schalter umlegt! 

Diese Vorstellung des elektrischen Stromkreises wird durch den gezeigten Aufbau unterstützt: Wenn eine Schülerin oder ein Schüler am Platz an der Kurbel des Handgenerators dreht, setzt sich augenblicklich der Motor am Pult in Bewegung und hebt über ein Wellrad ein Massestück an.

Ein Stromkreis besteht also aus einer Quelle, die eine Energieform in elektrische Energie umwandelt und einem Verbraucher, der die elektrische Energie wieder in andere Energieformen umwandelt. Die Energie fließt von der Quelle zum Verbraucher, benötigt dafür aber ein Medium, das im Kreis fließt.

Das besondere am DynaMot ist dabei, dass die abstrakten Größen Strom, Spannung und Energiestrom einer direkten körperlichen Erfahrung zugänglich werden, die im Anschluss einen verbesserten kognitiven Begriffsaufbau erlaubt. Der Energiestrom ist genauso groß wie die körperliche Leistung an der Kurbel, d.h. er gibt an, wie viel Energie pro Sekunde übertragen wird. Dies hängt sowohl davon ab, wie schnell man die Kurbel dreht als auch, wie schwer es ist, die Kurbel zu drehen.

Im Vergleich zu einer einzelnen 30W-Lampe ist für den Betrieb zweier Lampen natürlich ein Energiestrom von 60W erforderlich. In Parallelschaltung macht sich dies an der Kurbel dadurch bemerkbar, dass man zwar gleich schnell drehen muss, das Drehen jedoch doppelt so schwer wird. Mit dem Modell des elektrischen Riemens ist klar, dass nun ein doppelt so großer Strom angetrieben werden muss: die parallelgeschaltete Lampe benötigt zu ihrem Betrieb einen eigenen elektrischen Riemen.

Im Gegensatz dazu muss bei der Reihenschaltung derselbe elektrische Riemen zwei Lampen antreiben - durch beide Lampen fließt derselbe Strom. Allerdings wird der Stromfluss nun nacheinander von zwei Verbrauchern gehemmt. Es muss doppelt so schnell gekurbelt werden - zum Betrieb zweier Lampen in Reihenschaltung ist die doppelte Spannung erforderlich. 

Die so gewonnenen Vorstellungen werden im Unterricht immer weiter systematisiert und münden schließlich in Klasse 9 in der Erkenntnis, dass zwischen Strom I, Spannung U und Energiestrom P der Zusammenhang U = P/I besteht. Die Spannung gibt also an, wie viel Energiestrom pro 1A elektrischem Strom übertragen werden kann. Dies ist im Übrigen auch der Grund, warum wir ein Hochspannungsnetz brauchen: Bei geringer Spannung müssten immense Ströme fließen, um die benötigte elektrische Energie - immerhin ungefähr 700W pro Person! - zu übertragen. Die Leitungen würden augenblicklich verdampfen, denn bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass eine Steigerung der Spannung um einen Faktor 1.000, also z.B. von 230 V auf 230.000 V, den Wärmeverlust theoretisch auf ein Millionstel reduziert! 

Im Übrigen zeigt dieser kurze Artikel auch auf, warum die Fehlvorstellung sog. "Lerntypen" in die pädagogische Mottenkiste gehört: Alle unsere Schülerinnen und Schüler profitieren davon, die Fachbegriffe mit konkreten, haptischen Erfahrungen zu verknüpfen oder die Beziehungen der Fachbegriffe zueinander in Abbildungen oder MindMaps darzustellen. Gleichzeitig wäre der Unterricht reine Zeitverschwendung, wenn wir es beim bloßen Drehen an der Kurbel des DynaMot belassen würden ohne dabei die Schülerinnen und Schüler durch vielfältige Arbeitsaufträge und Gespräche untereinander oder im Plenum zu kognitiven Aktivitäten anzuregen. Hans-Peter Nolting bringt es in seinem Buch "Abschied von der Küchenpsychologie" auf S. 276 auf den Punkt:

 "Jeder Mensch sollte für erfolgreiches Lernen sehen und hören und sprechen und schreiben und zeichnen und vielleicht auch Modelle basteln oder sonst etwas tun - vor allem aber nachdenken, um nicht nur Einprägungswissen, sondern auch intelligentes Verständniswissen zu erwerben!"

Dr. Daniel Wieczorek, Fachvorsitzender Physik